75 Jahre Verkehrsverein Osnabrück: Schönes, Skurriles und ganz viel Geld
Von Wilfried Hinrichs | 19.08.2025, 10:04 Uhr
Der Verkehrsverein Stadt und Land Osnabrück e.V. wird 75 Jahre alt. Der Verein ist mehr als der Veranstalter der legendären „Osnabrücker Mahlzeit“. Er strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein.
Werbung um junge Mitglieder? Nein, das hat der Verkehrsverein Osnabrück nicht nötig. „Wir haben kein Nachwuchsproblem“, sagt Vorsitzender Felix Osterheider. Vor 75 Jahren wurde der VVO mit dem Ziel gegründet, Osnabrück und die Region bekannter zu machen. Heute ist das nur ein Randaspekt. Es gibt Wichtigeres zu tun.
Als Osnabrück die Kriegstrümmer beiseite räumte
Osnabrück war vom Geist des Wiederaufbaus und Neubeginns geprägt, als die Stadt zur Gründungsversammlung ins Rathaus bat. Es war der 23. August 1950. Der Wiederaufbau des historischen Rathauses hatte begonnen, die Einzelhändler in der Stadt sammelten sich zu einer Werbegemeinschaft und die Deutschen entdeckten zaghaft ihre Reiselust.
In diesem Klima gründete sich unter massiver Hilfe der Stadt der Vereinsverein Osnabrück. Es war eine Art Dachverband für ein Dutzend Vereine und Verbände aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. In der ersten Mitgliederversammlung gut einen Monat später (12. September 1950) wurde der Oberstadtdirektor Willi Vollbrecht zum ersten Vorsitzenden gewählt.
MEHR INFORMATIONEN:
So viel Geld sammelt der Verein
Durch die „Osnabrücker Mahlzeit“ und andere Aktivitäten nimmt der Verkehrsverein Geld ein, das in gemeinnützige Zwecke fließt. Insgesamt, so die Schätzung von VVO-Geschäftsführer Rüdiger Kuhlmann, dürfte fast eine Dreiviertelmillion Euro seit Bestehen des Vereins zusammengekommen sein.
Allein 2020 bis 2024 flossen 150.000 Euro in die VVO-Spendenkasse. In diesem Jahr ist ein Überschuss von 33.000 Euro eingeplant. Das Geld wird in der Regel breit verteilt. „Wir spenden lieber 15 Mal 2000 Euro als einmal 30.000“, so VVO-Vorsitzender Felix Osterheider. Grundsätzlich gilt: Gefördert werden lokale und regionale Projekte. Unterstützt wurden zuletzt unter anderem der Verein Wunderbunt, die Osnabrücker Tafel oder die Leichtathleten der LG Osnabrück.
Lotterie erbrachte sagenhafte 72.000 Mark
Es dauerte zwei Jahre, bis der Verkehrsverein eigenes Leben entfaltete. Zum Wiederaufbau des Marktes rief der Verein eine Lotterie ins Leben, die 72.000 Mark für die Rekonstruktion der Stadtwaage und der Marienkirche erbrachte. Der Verkehrsverein rückte ins Bewusstsein der Bürger – und wuchs.
Damals wurde das Fundament gelegt für die heute seltsam anmutende Vereinsstruktur: Verbände, Firmen und Institutionen können ebenso Mitglied sein wie natürliche Personen. Firmen zahlen heute 120 Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr, Einzelpersonen 72 Euro.
Alles andere als ein Seniorenclub
863 Mitglieder zählt der VVO aktuell. Das Durchschnittsalter der Einzelmitglieder, das erwähnt VVO-Geschäftsführer Rüdiger Kuhlmann mit gewissem Stolz, liegt bei „Ende 40, Anfang 50“. Wer glaube, der VVO sei ein Seniorenclub, dessen Aktivitäten sich auf Traditionsveranstaltungen beschränkten, der irre.
Die bekannteste Traditionsveranstaltung ist das Grünkohlessen in der Stadthalle, die „Osnabrücker Mahlzeit“ oder – wie das Ereignis zeitweise auch hieß – der „größte Männerstammtisch Europas“. Nun, das mit dem Männerstammtisch hat sich erledigt. Seit 2023 sind auch Frauen eingeladen.
MEHR INFORMATIONEN:
Die VVO-Vorsitzenden von 1950 bis heute
Vom Tiergarten in die Stadthalle
Das erste Grünkohlessen 1954 im Restaurant des damals noch Tiergarten genannten Zoos leitete eine neue Phase ein: Der Verein blickte über die Stadtgrenze hinaus. Mit dem Auto stieg die Mobilität der Menschen, Stadt und Umland vernetzten sich immer mehr. 1957 weitete der Verein seine Arbeit auf die Region aus und nannte sich fortan „Verkehrsverein Stadt und Landkreis Osnabrück“
Das Grünkohlessen als großes Netzwerktreffen
Aus dem Grünkohlessen im Zoo-Restaurant wurde ein gesellschaftliches Ereignis mit heute 1300 Gästen in der Osnabrück-Halle. Landes- und Bundesminister kosten hier gern den Grünkohl, erfolgreiche Unternehmer, Künstler, Entscheider aus allen gesellschaftlichen Bereichen treffen sich bei Bier, Wurst und deftigem Grünkohl.
„Gibt es auch etwas anderes als Grünkohl?“, hat mal jemand bei der Anmeldung gefragt. VVO-Vorsitzender Felix Osterheider ist traditionsbewusst, aber gewiss kein Bremser: „Schauen wir mal, was die Trends der Zukunft bringen“. Grünkohl-Mahlzeit vegan – warum denn nicht?
Der VVO erkennt die Zeichen der Zeit
Ein Trend der Zukunft war nicht aufzuhalten: die Öffnung der Mahlzeit für Frauen. 2019 machten die Grünen in Osnabrück Druck auf den VVO. Die Mahlzeit sei in der männlich dominierten Form „antiquiert“ und „sexistisch“. Ernst wurde es, als Landrätin Anna Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen) kraft Amtes in den Vorstand des VVO aufrücken sollte. Sie machte ein Mitwirken davon abhängig, dass die Veranstaltung allen geöffnet werde.
So geschah es 2023, und der nächste Schritt folgte bald: In diesem Jahr ist mit Barbara Hartung erstmals eine Frau Grünkohlkönigin geworden.
Runkelrübenschnitzen im Herbst
Der VVO zeigt sich anpassungsfähig und auf der Höhe der Zeit. Früher wurde für Kinder ein „Runkelrüben-Laternen-Schnitzwettbewerb“ ausgelobt. Kinder der 4. bis 6. Klassen schnibbelten in den Schulen an Runkelrüben herum, um sich mit ausgefallenen Laternen für das Finale beim VVO zu qualifizieren. Die Finalisten gewannen Gutscheine für den Jahrmarkt, mit denen sie endlos Karussell fahren durften. Der Sieger erhielt ein Fahrrad.
Heute organisiert der VVO für die Mitglieder Kurzreisen mit exklusiven Einblicken hinter die Kulissen der Elbphilharmonie in Hamburg, Meyer-Werft in Papenburg, Bundesbank in Frankfurt oder von ThyssenKrupp in Duisburg.
Martina Ortgies seit 40 Jahren an der Schnittstelle
Bei der Organisation immer dabei: Martina Ortgies. Seit 40 Jahren führt sie das VVO-Sekretariat, am 1. September 2025 hat sie Dienstjubiläum.
Sie erinnert sich an die Anfänge der Osnabrücker Mahlzeit. Als die Einladungen noch per Post versandt wurden, hat sie ihre ganze Familie inklusive Schwiegereltern eingespannt, um Einladung, Antwortkarte, Überweisungsträger und weitere Informationen für 850 Mitglieder und 100 Kommunalpolitiker und Abgeordnete in Umschläge zu verpacken. Heute geht alles per E-Mail raus.
Der unverschämte Anruf
1984, in ihrem ersten Dienstjahr für den VVO, war die Grünkohlmahlzeit Anfang Januar ausverkauft. Da rief ein damaliger Politiker an und forderte: Wenn Sie mir keine Karte mehr besorgen, hetze ich Ihnen meine Partei auf den Hals.
Martina Ortgies war damals 18 Jahre alt. Sie habe eine schlaflose Nacht gehabt, sagt sie und ist sich sicher: „Heute würde so eine Aussage von keinem Politiker mehr kommen.“